Die Europameisterschaft ist geschafft und mir fehlen etwas die Worte. Lange Zeit habe ich gezögert einen Blog zu starten, weil ich genau vor so einem Szenario Angst hatte - worüber berichte ich, wenn ich grottenschlecht spiele? Was kann ich über so ein Turnier schreiben? Jetzt ist genau das eingetreten und vermutlich wird dieser Bericht eher eine Therapie für mich als ein üblicher Turnierblog. Aber was war überhaupt los? Bereits die Anreise verlief nicht optimal. Wir wollten am Freitag, den 17.08., über Belgrad nach Podgorica fliegen, von wo uns der Organisator einen Shuttle ins montenegrinische Petrovac organisierte. Am Mittwoch Abend erreichten uns aber schlechte Nachrichten - in Stuttgart würde am Freitag gestreikt werden und kein einziges Flugzeug wird fliegen. So machten Hanna Marie, Fiona und ich uns auf die Suche nach Alternativen. Nach mehreren Stunden wurde Hanna Marie fündig - wir könnten Donnerstag Abend den Nachtzug nach Ljubljana nehmen und von dort am Nachmittag weiter nach Podgorica fliegen. Gesagt getan. Die Betten im Nachtzug sind kein Traum, aber wir konnten immerhin ein bisschen schlafen und hatten so genug Energie für ein bisschen Sightseeing in Ljubljana. Wir besichtigten die Burg von Ljubljana und stärkten uns danach in der "Odprta Kuhna" - eine Art Markt mit vielen Essensständen. In Deutschland kennen wir sowas vor allem vom Weihnachtsmarkt, aber in Ljubljana ist diese offene Küche das ganze Jahr über und bietet wirklich viel Auswahl.
Nach einem schönen Vormittag ging es weiter nach Podgorica und Petrovac. Circa 26 Stunden nach dem Verlassen meiner Wohnung kamen wir im Hotel Palas an. Nach einer anstrengenden Reise gingen wir früh schlafen, sodass wir am nächsten Tag fit für das lange Turnier sind. In der ersten Runde kommen die Paarungen immer recht spät, sodass wir noch etwas Zeit hatten die Gegend zu erkunden.
Ich startete mit einer vielversprechenden Partie gegen die Russin Alena Skvortsova. In der russischen Partie ergriff ich mittels eines Figurenopfers schnell die Initiative und fast wäre die Partie wirklich perfekt geworden. Allerdings verpasste ich im Diagramm 1 die Fortsetzung:
17. Tfe1+ Lxe1 18. Txe1+ Kd8 19. Da5+ Tc7 20. Le7+ Dxe7 21. Txe7 Kxe7 22. Dxc7 und Weiß hat Dame und Bauer gegen Turm und Läufer und gewinnt problemlos. Man könnte denken, die Variante ist nicht so einfach, Weiß muss zusätzlich zur bereits geopferten Figur noch eine Qualität opfern und einige Züge im Voraus berechnen, aber ich sah die Endstellung der Variante und habe mich bei den Figuren verzählt, die noch auf dem Brett standen. Ich gewann die Partie dennoch kurz danach, da meine Gegnerin auch gegen 17. De2+ nicht die richtige Verteidigung fand, dennoch war dieser Überseher recht symptomatisch für den weiteren Turnierverlauf. Der einzige Unterschied ist, dass er hier nicht bestraft wurde, doch das sollte sich bald ändern.
In Runde 2 spielte ich gegen die Litauerin Salomeja Zaksaite, die eine für mich überraschend geringe Elozahl hatte und am Ende des Turniers auf 7 Punkte kam! Ich stand aus der Eröffnung mit dem schwarzen Steinen schnell angenehm und konnte meine Gegnerin in einem damenlosen Mittelspiel überspielen. Dann entglitt mir die Stellung jedoch und ich musste mich verteidigen. Das gelang mir schließlich im Endspiel mit Turm gegen Turm und Läufer! Nicht mein Traumergebnis, aber ein Remis mit Schwarz gegen eine Spielerin mit knapp 2200 ist kein schlechtes Ergebnis. In Runde 3 wurde mir die Polin Emilia Dylag zugelost und in einer komplizierten Partie im Marschallangriff behielt ich die Oberhand. Diese Partie werde ich für meinen Youtubekanal analysieren und hier verlinken. Bis dahin würde ich mich natürlich über ein Abo freuen, dann verpasst ihr kein Video mehr ;-).
Anschließend spielte ich gegen Dinara Wagner, leider glich ich nie richtig aus und sie beendete die Partie mit einer hübschen Taktik:
24. Sxf7 Kxf7 25. Te6 und mir blieb nichts besseres als mit 25...Sf6 26. Txd6 Txe1+ die Dame zu opfern. Allerdings zögerte dies den Verlust nur hinaus. In Runde 5 spielte ich gegen die ukrainisch-serbische Frauengroßmeisterin Irina Chelushkina. Ich erreichte eine sehr gute Stellung aus der Eröffnung, fand dann aber keinen Plan und musste später ein schwieriges Turmendspiel verteidigen. Mit etwas Hilfe meiner Gegnerin gelang mir dies. An dieser Stelle würde ich gerne den Artikel beenden, denn von nun an ging es wirklich bergab.
In der letzten Runde vor dem Ruhetag spielte ich wieder gegen eine Junge Polin - Liwia Jarocka. In der Diagrammstellung lehnte ich mit Schwarz Remis ab nur um 8 Züge später den einzigen Weg zum Remis zu verpassen. Irgendwie tut es noch mehr weh zu verlieren, wenn man Remis abgelehnt hat, aber zumindest hatten wir am nächsten Tag einen Ruhetag zum Kraft tanken. Wir entschieden uns in großer Gruppe eine Bootstour zu machen. Petrovac ist wirklich wunderschön und das Wasser ist so türkis, das habe ich selten im Leben gesehen. Am Nachmittag machten Hanna Marie und ich uns noch auf zu einem langen Spaziergang, bei dem wir den Sonnenuntergang von einem Berg aus beobachten konnten.
Bereit für die zweite Hälfte des Turniers entschied ich mich am Morgen der 7. Runde gegen meine junge russische Gegnerin, die inzwischen für Serbien spielt, Alapin auszupacken. Die Vorbereitung klappte perfekt und ich konnte bereits aus der Eröffnung eine Gewinnstellung erreichen. Diese verwertete ich langsam, aber mehr oder weniger souverän.
In Runde 8 saß mir wieder eine junge Polin gegenüber - Michalina Rudzinska. Sie spielte eine recht langweilige Najdorfvariante und nach einigen ungenauen Zügen meinerseits landete ich in einem unangenehmen aber durchaus haltbaren Endspiel.
Leider verlor ich in der Diagrammstellung völlig den Überblick und gab meiner Gegnerin mehrmals die Chance, die Partie direkt zu beenden. Sie verzichtete mehrmals darauf, doch irgendwann nahm sie die Möglichkeit wahr und die Partie war verloren.
Bis hierhin war das Turnier nicht gut, aber ich hatte noch Hoffnung mit drei abschließenden Siegen mein Turnier zu retten. In Runde 9 spielte ich gegen die Rumänin Mihaela Sandu, gegen die ich zuvor bereits zweimal verloren hatte, unter anderem eine sehr bittere Partie bei der Schacholympiade 2022. Ich kam sehr gut aus der Eröffnung, wählte aber im Diagramm 5
den strategisch falschen Plan und schloss das Zentrum mit 23.d5. Nach 23...c4 erhält der schwarze Springer das Feld c5, was Schwarz gutes Gegenspiel gibt. Ich setzte mit 24. h5 Sc5 25. Kf1 fort, ich wollte den König nach e2 führen um auf der h-Linie anzugreifen. Allerdings war das viel zu optimistisch und da ich stur an diesem Plan festhielt war es am Ende mein König, der dem Angriff des schwarzen Turmes über die b-Linie erlag. Damit war klar - das Turnier ist nicht mehr zu retten, trotzdem hoffte ich natürlich auf ein versöhnliches Ende.
In Runde 10 spielte ich gegen die Kroatin Ana Berke, die ich vor sechs Jahren beim Mitropacup bereits einmal besiegen konnte. Nach den letzten Partien entschied ich die Vorbereitung sein zu lassen, denn meine Partien zeigten vor allem eins - Schwierigkeiten, die Konzentration über die ganze Partie aufrechtzuerhalten. Die Eröffnung lief okay, doch nachdem ich meine Gegnerin dazu provozierte eine Figur zu opfern passierte etwas schreckliches.
Hier plante ich 15...Se4 16.Sxe4 De5 17.Td3 Lxe4 18.Tg3+ Dxg3 19. hxg6 Lg6 und nun kann Weiß nur mit 20. Txe6 das Gleichgewicht halten (diesen Zug sah ich in der Vorausberechnung nicht). Statt dem Zug, den ich spielen wollte spielte ich aber 15...Le4 und nach 16.f4 gibt es keinen sinnvollen Weg den Turmschwenk auf der dritten Reihe zu verhindern. So musste ich bald die Waffen strecken. Nach dieser Partie fühlte ich mich wirklich nicht mehr wie ich selbst - 4 Punkte auf 10 Runden und so schreckliche Partien. Ich konnte mein Spiel selbst nicht verstehen, aber ich war es, die die Züge gespielt hat. Aufgrund dessen entschied ich mich die letzte Runde auszusetzen. Normalerweise bin ich kein Fan davon wegzulaufen, wenn es schwierig wird, aber ich konnte einfach nicht mehr. Am Ende stehen -64 Elopunkte zu Buche und die Frage: Woran hat es gelegen? Ich würde euch gerne sagen, dass ich krank war oder andere Dinge im Kopf hatte, aber das stimmt nicht. Ich fühlte mich bereit für das Turnier und habe mich gefreut wieder Schach zu spielen, allerdings war mein Kopf offenbar nicht allzu bereit und im gesamten Turnier habe ich sehr schlecht gerechnet. Zudem habe ich irgendwann die Objektivität verloren, weil ich unbedingt Partien gewinnen wollte, das führte dann zum gegenteiligen Ergebnis. Ich habe es einfach nicht geschafft meine Verluste zu verdauen und die Partie am nächsten Tag normal zu spielen. Das ist natürlich inakzeptabel und sollte nicht vorkommen. Leider ist es das und es ist nicht mehr zu ändern. Ich werde mir nun ein paar Tage Pause gönnen und dann mit ein wenig Abstand die Partien des Turnieres analysieren, sodass ich zumindest noch möglichst viel daraus lernen kann.
Mir wurde zwar in diversen Turnierchats ans Herz gelegt, das mit dem Schachspielen lieber sein zu lassen, aber das wird vorerst nicht passieren :-).
Natürlich hoffe ich, dass es bei den nächsten Turnieren mehr positives zu berichten gibt!
Bis dahin,
Josefine
Kopf hoch! Ein schlechtes Turnier kommt immer wieder mal vor, und ist zwar schade, aber kein Beinbruch. Der Mensch (selbst der stark schachspielende Mensch) ist keine Maschine. Laß Dir davon den Spaß am Schach nicht verderben. Du wirst auch wieder sehr, sehr gute Turniere spielen! Du bist doch eine von unseren besten!
Es gibt halt so Zeiten, wo nichts läuft und man selber noch den größten Anteil daran hat. Shit happens. Aufstehen, Krone zurechtrücken und weiter gehts. Ich finde es aber megastark, dass du so ehrlich und schonungslos darüber berichtest. Das ist in so einer Situation nicht selbstverständlich. Respekt!
Die Gegnetinnen wurden also ausgelost. Ich dachte, die EM würde nach Schweizer System gespelt, dass also die Tabellen-Nachbarinnen gegeneineinander spielren. Uns so schlecht war das Ergebnis auch nicht. Kopf hoch und viel Glück.