Als Vorbereitung auf die Team-EM im November, spielte ich vom 08.-15.10. beim Herbstturnier von Fagernes. Das Turnier in Fagernes hat bereits Tradition und findet seit 2022 sogar zweimal jährlich statt - einmal in den norwegischen Osterferien und einmal in den Herbstferien. Die Anreise aus Baku war lang und nicht recht einfach, doch ich viel Positives gehört hatte, wollte ich unbedingt spielen. So reisten wir am Vortag über Warschau nach Oslo und wurden da von der Präsidentin des norwegischen Schachverbands - Anniken Vestby - abgeholt (für die meisten Teilnehmer gibt es einen normalen Bustransfer vom Flughafen, aber wir kamen zu spät abends an). So kamen wir gegen 22 Uhr im Scandic Valdres Hotel in Fagernes an. Es gab sogar noch Abendessen und so konnten wir uns stärken, bevor wir recht erschöpft ins Bett fielen. Am Sonntag startete die Runde erst um 17:30 Uhr, weil viele Spieler erst an diesem Tag anreisten. Da ich noch nie hier war, entschied ich mich am Vormittag für einen langen Spaziergang, erkundete die Gegend und versuchte frische Luft zu tanken, um mich bei der Partie gut konzentrieren zu können.
Direkt neben dem Hotel ist ein See und darin eine kleine Insel, die man über eine Brücke erreichen kann. Nachdem ich die Insel erkundet hatte, entschied ich mich eine Runde um den See zu laufen (das dachte ich zumindest zu dem Zeitpunkt), und landete schnell auf einem Campingplatz, der auch sehr gut besucht war. Leider versperrte mir bald ein Zaun den Weg und ich musste umkehren.
Daraufhin ging ich in Richtung der Berge und des Waldes. Es gibt hier wirklich viel zu entdecken, leider hatte ich dafür vor den Partien nicht genug Zeit! Aber vor dem Turnier hoffte ich, dass ich nach der letzten Runde zumindest noch einmal Zeit für einen längeren Spaziergang finden würde.
Nach einem kleinen Mittagsschlaf ging es dann auf zur ersten Runde - gegen den jungen Norweger Peder Marcus Aamodt. Mit Schwarz galt es, solide zu bleiben und gut ins Turnier zu kommen. Leider nutzte ich die Ungenauigkeiten meines Gegners nicht aus und musste lange eine schlechte Stellung verteidigen. Nach einigen schlechten Entscheidungen seinerseits steuerte die Partie dann aber in den Remishafen. Kein optimaler Start, aber nach dem Partieverlauf auch keine Katastrophe.
Am nächsten Tag spielte ich dann mit Weiß gegen Valentina Verbin. Lustigerweise kam die gleiche Eröffnung wie am Vortag aufs Brett und dieses Mal lief es besser für mich: In Diagramm 1 konnte ich mit 16.Dc1! die schwarze Dame fangen. Es folgte 16...Sxe4 17. Ta4 Lxc3 18. Txb4 Lxb4 und materiell steht Schwarz gar nicht so schlecht da, denn man konnte Turm, Springer und einen Bauern für die Dame bekommen und der Bauer auf a5 wird auch noch fallen. Allerdings wurde dafür auch der König geschwächt und genau das wurde meine Gegnerin bald zum Verhängnis. Bei beiden ersten Runden habe ich detailliert bei Youtube analysiert:
Zur Belohnung für diesen Sieg durfte ich in Runde drei das erste Mal gegen einen stärkeren Gegner spielen - das große norwegische Talent Aksel Bu Kvaloy. Ich entschied mich ihn in einer langen, forcierten Variante zu testen, die bei bestem Spiel von beiden Seiten Remis endet. Denn gerade die elostärkeren Spieler werden so dazu verleitet, mehr Risiko einzugehen und somit könnten sich auch Chancen für mich ergeben. Zunächst klappte das ganz gut, denn mein Gegner war sichtlich genervt von meiner Eröffnungswahl. Allerdings vergaß ich an einer Stelle selbst die Theorie und landete so in einer schlechteren, aber weiterhin komplizierten Stellung. Nachdem auch mein Gegner nicht immer die besten Züge fand, sah es kurz vor der Zeitkontrolle recht ausgeglichen aus, dann übersah er jedoch eine meiner Drohungen und verlor eine Figur. Da diese Partie sehr kompliziert war, habe ich mich entschieden, das Ganze etwas ausführlicher zu erklären:
Am nächsten Tag stand dann eine Doppelrunde an. Am Morgen ging es gegen den indischen GM Guha Mitrabha. Er kannte sich in der Eröffnung besser aus als ich und erreichte so eine vorteilhafte Stellung. Ich verteidigte mich jedoch lange sehr zäh und konnte ein remises Endspiel erreichen:
Es stellte sich nur noch die Frage, wie man hier am besten die Springer tauschen kann, um die Partie in den sicheren Hafen fahren zu können. Ursprünglich wollte ich hier 38... Sf5 spielen, dann sah ich jedoch, dass nach 39. Sxf5 Kxf5 40. Txd5+ Txd5 41. e4+ Weiß ein Bauernendspiel mit besserer Struktur erreicht und auf den ersten Blick war ich nicht zu 100% sicher, dass dieses Endspiel Remis ist. Da ich nur noch wenige Minuten auf der Uhr hatte, entschied ich mich den Springer unter besseren Bedingungen zu tauschen und spielte 38... Tc3 und erst nach 39. Kf2 Sf5, allerdings folgte nun 40. Se2 und aufgrund der Drohung gegen den schwarzen Turm und Sf4+ verlor ich den d5 Bauern. Problematisch war, dass die Springer auf dem Brett blieben und so nistete sich der weiße Springer später auf f5 ein und die Stellung wurde schnell hoffnungslos.
Das war ein wirklich ärgerlicher Verlust, umso schlimmer, dass ich nach dieser 5-stündigen Partie direkt wieder ans Brett musste. Dieses Mal gegen einen jungen Israeli - Yaniv Yuval. Ich entschied, dass ich bereits genug 3.Lb5+ gegen Sizilianisch gespielt hatte und es Zeit für Alapin ist. Mein Gegner spielte die Eröffnung sehr kreativ und motivierte mich dazu, eine Qualität zu opfern. Ich ließ mich nicht zweimal bitten und gab gerne den Turm gegen den schwarzen fianchettierten Läufer.
Hier fühlte es sich für mich an, als wären alle weißen Figuren entwickelt und es wäre Zeit für eine Taktik. Meine Hauptidee war es, die weiße Dame auf die lange Diagonale zu bringen(über b2) und dann auf d5 zu schlagen und c4 mit Tempo zu spielen. Allerdings kann Schwarz die lange Diagonale rechtzeitig mit ...f6 verschließen. Und so kam ich nach langem Nachdenken darauf, dass noch gar nicht alle weißen Figuren optimal stehen! Der weiße Turm macht noch nicht mit und sollte entwickelt werden. So spielte ich 19. Te1, was ...f6 für immer verhindert. Mein Gegner fand nichts besseres als 19. ...Lg4, aber nach 20. h3 Lxf3 21. Dxf3 hat Schwarz große Probleme, weil nun auch noch f7 schwach ist. Er gab wenige Züge später auf. Die ganze Partie gibt es hier:
Das war ein angenehmer Abschluss der anstrengenden Doppelrunde. Am nächsten Tag durften wir dann wieder ausschlafen und am Nachmittag ging es mit Schwarz gegen den norwegischen IM Tor Fredrik Kaasen.
Normalerweise geht der Läufer in diesen Stellungen nach e3 und ich war sehr überrascht, als mein Gegner seinen letzten Zug rausblitzte. Leider verstand ich die Idee überhaupt nicht und setzte meine Entwicklung schablonenhaft mit 10... Dc7 fort. Die Idee offenbarte sich fünf Züge später, in Diagramm 5. Der Läufer blockiert die dritte Reihe nicht, sodass der Turm über h3 den Springer auf c3 decken kann! Diese Stellung war bereits sehr unangenehm für Schwarz und es gelang mir nicht einen sinnvollen Verteidigungsplan zu finden. Mein Gegner brachte einfach den Läufer nach c1 und ließ dann die Bauern auf meinen König zustürmen und
es dauerte nicht lange, bis die Stellung aufgabereif war. Es ist nie angenehm eine Partie chancenlos zu verlieren, aber die Neuerung meines Gegners war wirklich sehr clever und nicht leicht zu durchschauen, daher grämte ich mich nicht zu sehr.
Auch am darauffolgenden Tag durfte ich wieder gegen einen stärkeren Gegner spielen - GM Lev Yankelevich. Dieser hatte aufgrund von Krankheit bereits zwei Runden ausgesetzt und versuchte es jetzt nochmal im Turnier. Allerdings bot er früh Remis an, nachdem er mich in der Eröffnung überraschte und da ich in letzter Zeit oft katastrophale zweite Turnierhälften hatte, nahm ich dankend an und hoffte so Kraft für die letzten beiden Runden sparen zu können. In der achten Runde war dies auch vonnöten, denn ich spielte gegen den israelischen IM Yahli Sokolovsky und opferte früh einen Bauern, um in eine Stellung mit ungleichfarbigen Läufern zu kommen. Dieses Endspiel war objektiv Remis, aber mein Gegner probierte lange alles und zwang mich schließlich akkurat zu rechnen:
Weiß möchte nun die beiden Bauern am Königsflügel gegen den e-Bauern tauschen und dann mit Freibauern an beiden Flügel meine Figuren überlasten. Allerdings haben ungleichfarbige Läufer immer eine hohe Remistendenz und so gibt es auch hier einen Weg, die Stellung zu retten: 59... Ke6 60. Kxg6 Le2!. Schwarz möchte den h5-Bauern nicht abgeben, ohne den a6-Bauern zu bekommen. Nun kann Weiß nur einen Freibauern am Königsflügel bilden, wenn man auch einen Bauern tauscht. Es folgte: 61. Kg5 Ke5 62. g4 hxg4 63. hxg4 Kxe4 und als nächste räumte ich meinem König den Weg nach a8 und gab den Läufer gegen den g-Bauern. Da das Feld a8 Weiß ist und der weiße Läufer nur auf schwarzen Feldern agiert, endete die Partie bald Remis. In der neunten Runde sollte ich gegen den Polen Jacek Szwed spielen, der zwar zu Beginn des Turnieres Eltaj Safarli ein Remis abnehmen konnte, danach aber nicht mehr so gut punktete. Da es bis hierhin wirklich gut lief, hieß es auszurechnen, ob eine IM-Norm möglich ist und welches Ergebnis dafür nötig wäre. Zu meiner Überraschung war mein Schnitt 22 Punkte zu niedrig, um mit 5,5/9 eine Norm zu machen. Da habe ich wohl den Runden 3-8 zu hohen Wert eingeräumt und das Remis gegen den Gegner mit circa 2000 in der ersten Runde unterschätzt. Das war natürlich keine Katastrophe, das Turnier konnte auch ohne Norm ein Erfolg werden :-) Ich bereitete mich also sorgfältig vor und saß um 9 Uhr am Brett. Mein Gegner fehlte zunächst, aber das ist bei so frühen Runden nicht ungewöhnlich. Als er um 9:30 immer noch nicht da war, zweifelte ich langsam an, dass er überhaupt noch kommt. Bald darauf sprach mich auch der Organisator an und teilte mir mit, dass mein Gegner krank geworden sei. Somit gewann ich die Partie kampflos. Natürlich schade um die Partie, aber so war mir immerhin der erste Frauenpreis sicher.
Da meine "Partie" früh beendet war, entschied ich mich die Chance zu nutzen und wandern zu gehen. Nachdem ich den Gipfel des Berges erreicht hatte, wurde ich von einem kleinen Dorf überrascht. Offenbar ist es hier beliebt, Häuser auf Bergen zu bauen :-)
Nachdem ich den Blick von oben auf Fagernes eine Weile genossen hatte, ging es wieder zurück ins Hotel, wo die Siegerehrung stattfinden sollte. Ich habe bereits erwähnt, dass ich den Frauenpreis gewonnen habe, aber tatsächlich gab es hier sogar zwei Frauenpreise - einen für die Frau mit den meisten Punkten und einen für die Frau mit der besten Performance. Wer ein bisschen Erfahrung in Opens hat, weiß, dass das nicht zwangsläufig die gleiche Person ist, da man unabhängig von der Setzlistenposition völlig unterschiedliche Turniere (eine Spielerin spielt immer gegen schwächere, die andere immer gegen stärkere) spielen kann. Das gilt natürlich auch für alle anderen Kategoriepreise, daher finde ich es wirklich sinnvoll, diese nach Performance und nicht nach Punkten zu vergeben. Da Fiona Sieber in der letzten Runde etwas unglücklich verlor, konnte ich aber sogar beide Preise gewinnen. Insgesamt also ein wirklich erfolgreiches Turnier! Für alle von euch, die Schach spielen gerne mit reisen verbinden, kann ich Fagernes wirklich empfehlen. Wunderschöne Natur trifft auf ein super organisiertes Turnier. Das Hotel ist gut und das Essen ist nicht nur lecker, sondern auch sehr vielfältig, sodass für alle Vorlieben und Ernährungsformen etwas dabei ist. Für mich geht es heute wieder nach Baku, wo ich mich weiter auf die Team-EM vorbereiten werde, denn da möchte ich natürlich auch in guter Form sein. Bis dahin, Josefine
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