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Writer's pictureJosefine Heinemann

Serbia Masters 2023

Wie ich bereits in meinem Bericht zur deutschen Blitzmeisterschaft der Frauen erwähnt habe, hatte ich keine lange Pause. Bereits am Morgen nach dem Turnier ging es um 5:30 Uhr aus Viernheim los, sodass ich um 9 Uhr meinen Flieger von Stuttgart nach Belgrad nehmen konnte. Da am Stuttgarter Bahnhof nach wie vor gebaut wird (hieß das Projekt nicht Stuttgart 21? Meinen sie damit 2121?), und mein Zug natürlich Verspätung hatte, war ich am frühen Morgen zu einer kleinen Sporteinheit gezwungen. Nach einem kurzen Dauerlauf vom Bahnhof zur S-Bahnstation gelang es mir aber, die S-Bahn pünktlich zu erreichen und somit auch meinen Flieger. Der Flug nach Belgrad war entspannt und ich hatte mir vorher bereits ein Taxi zum Flughafen gebucht. So erreichte ich gegen 12 Uhr mein Hotel und hoffte noch ein paar Stunden Schlaf vor der ersten Runde nachholen zu können. Leider durfte ich erst ab 14 Uhr einchecken und so suchte ich mir ein Restaurant, aß eine Kleinigkeit und verweilte dort bis zum Check-In.

Um 16 Uhr startete dann die erste Runde und mir saß direkt ein sehr starker Gegner gegenüber, der junge Inder Raunak Sadhwani. Im Mittelspiel konnte er kleine Vorteile erzielen, allerdings hielt ich gut dagegen und so war die Stellung nach dem 40. Zug völlig unklar. Wie üblich nach der Zeitkontrolle entschied ich mich, eine Runde herumzulaufen, um etwas runterzukommen und dann in Ruhe über die Stellung nachzudenken. Als ich wieder ans Brett kam, ereilte mich jedoch ein Schock - auf meiner Uhr waren nur noch 14 Minuten. Daher kleine Notiz an mich - Ausschreibung lesen ist immer von Vorteil, dann weiß man auch vor der Partie, dass es statt der üblichen 30 Minuten nur 15 Minuten nach Zug 40 gibt.

Diagramm 1: Stellung nach 40...Tb7

Hier hatte ich die Chance mit 41. h5! gxh5 42. e5! Lxe5 43. Dd5 Lxg3 44. Dg5+ mehr oder weniger forciert Remis zu machen, allerdings entging mir diese Idee und ich wählte 41. Td3, aber nach 41... a4 42. bxa4 De2 war meine Stellung bereits aufgabereif. Ein etwas unglücklicher Start, aber dennoch war ich froh, dass die Partie sehr lange sehr ausgeglichen war. In Runde zwei spielte ich dann gegen meine Letzrundengegnerin aus Baku, die 15-jährige Narmin Abdinova. In Baku hatte ich Weiß, dieses Mal Schwarz. Die Eröffnung lief sehr gut und ich konnte schnell die angenehmere Stellung erzielen. Nach einigen ungenauen Zügen erreichten wir jedoch ein ausgeglichenes Endspiel. Dort gelang es mir sie wieder zu überspielen und am Ende fand ich ein hübsches Mattnetz:

Diagramm 2: Stellung nach 54. Txh6

Nach 54... b4 55. Th8 b3 56. Td8+ Ke6 57. Td3 Tg2 58.Tc3 folgte 58... Tg1+ 59. Sd1 b2+ und der Bauer läuft durch, weshalb meine Gegnerin aufgab. Ein Springer in Kombination mit einem Bauern kann tatsächlich sehr gute Grundreihenmatts drohen, da sich diese beiden Figuren gut ergänzen. Auch in Runde drei saß mir eine Gegnerin aus Baku gegenüber. Dort verlor ich mit den schwarzen Steinen gegen die 17-jährige Amina Kairbekova. Dieses Mal hatte ich Weiß und wir spielten eine spannende Partie, die ich auf Youtube analyisert habe:

In Runde vier starteten aus meiner Sicht die dramatischen Ereignisse. Ich spielte mit Schwarz gegen den 12-jährigen Atilla Kuru und stellte bereits direkt in der Eröffnung eine Qualität ein:

Diagramm 3: Stellung nach 9...0-0?

Mein Gegner fand hier sehr schnell 10. e5! dxe5 11. Dxd8 Txd8 12. Se4 und nach 12... Td6 13. Sxd6 cxd6 hat Schwarz zwar etwas Kompensation für die Qualität, allerdings sollte das lange nicht ausreichen sein. Mein junger Gegner ließ aber später zu, dass mein Springer nach d4 kommt und sah sich dann gezwungen die Qualität zurückzugeben. Im Turmendspiel wähnte er sich in Sicherheit und bot Remis an, allerdings schätzte er die Stellung völlig falsch ein und nicht lange, nachdem ich Remis abgelehnt hatte, erhielten wir folgende Stellung:

Diagramm 4: Stellung nach 44. Te5

Hier gewinnt Schwarz thematisch (Regenschirm!) mit 44... h4! 45. gxh4 g3, da nun g2+ droht und 46. Kg1 wegen 46...Td1 mit Matt sich verbietet. Es folgte noch 46. Te1 und nach 46... Kh2 gab mein Gegner wegen der Drohung g2+ auf. Da habe ich nochmal Glück gehabt und am nächsten Tag spielte ich zur Belohnung gegen einen weiteren GM - Nikita Petrov. In der Nacht zwischen den beiden Runden hatte es gewittert, sodass die Temperaturen endlich mal erträglich waren und und so entschied ich mich am Morgen einen kleinen Spaziergang zu machen. Dabei stieß ich auf eine recht überraschende Statue im Park.

Hatte ich etwa ausversehen Belgrad verlassen und war bis Baku spaziert? Nein, nein. Ich war immer noch in Belgrad und eine kleine Recherche hat ergeben, dass vor circa 15 Jahren die beiden Länder eine engere Kooperation beschlossen haben, um sich gegenseitig in ihren politischen Zielen zu unterstützen (es ging wohl vor allem um die Nicht-Anerkennung des Kosovo als Land und natürlich um den Bergkarabachkonflikt, da dies aber kein Politikblog ist, könnt ihr euch da gerne selbst informieren). Nach diesem kleinen Exkurs war ich bereit für die Partie. Obwohl mein Gegner mich in der Eröffnung überraschte, war meine Stellung etwas angenehmer. Danach spielte er jedoch eine sehr starke Partie und überspielte mich Schritt für Schritt. Ich kann hier nicht einmal den einen kritischen Moment in der Partie ausmachen, da einfach gefühlt jeder seiner Züge etwas besser war als meine. So saß mir am nächsten Tag wieder ein nominell schwächerer Gegner gegenüber. Allerdings sollte man junge Inder nie unterschätzen und mein Gegner gewann in den letzten beiden Turnieren bereits 70 Elopunkte, die sich in seiner Elozahl (2042) noch nicht widerspiegelten. Wieder lief die Eröffnung gut für mich, obwohl ich Schwarz hatte.

Diagramm 5: Stellung nach 21.Tbd1

Hier hatte ich die Chance 21... e5 zu spielen und meinen Springer auf d4 zu platzieren. Ich wollte aber besonders schlau sein und zunächst meinen Läufer vor die Bauernkette stellen und spielte deshalb 21... Lc3, aber nach 22. Ld2 Lxd2 23. Dd2 Kg7 24. e5 wurde die Stellung sehr unklar und auch nicht ungefährlich für mich. Bald entstand ein ausgeglichenes Endspiel und wir einigten uns auf Remis, da ich keine großen Chancen für mich sah, auf Gewinn zu spielen. In Runde sieben saß mir dann wieder ein 12-jähriger Türke gegenüber, der in seinem letzten Turnier gerade 40 Elopunkte gewonnen hatte und bis hierhin ein sehr gutes Turnier spielte. Nachdem ich in der Eröffnung meine Variante verwechselte und statt Kompensation für einen geopferten Bauern, einfach nichts für einen geopferten Bauern erhielt, konnte ich mich glücklich schätzen, dass mein Gegner nicht allzu genau spielte und ich den Bauern irgendwann zurückgewinnen konnte und somit in ein ausgeglichenes Endspiel abwickelte. Dieses ging dann auch ohne große Abenteuer Remis aus. Zur "Belohnung" ging es dann in Runde acht gegen eine Inderin - Priyanka K. Im frühen Mittelspiel gab es einen wichtigen Moment, in dem ich mich entschied den falschen Bauern zu schlagen:

Diagramm 6: Stellung nach 15. Lf3

Stark wäre hier: 15... Sfxe4 16. Sxe4 Sxe4 17. Dxb6 (ansonsten gewinnt Schwarz die Figur immer mit der Gabel d5 zurück) 17... Dxb6 18. Sxb6 d5 und Schwarz stünde sehr komfortabel. Stattdessen wählte ich 15...Sxa4 16. Sxa4 b5 17. Db6 Dxb6 18. Scxb6 bxa4 19. Txa4 und hier steht Schwarz einfach schlecht und im weiteren Partieverlauf gelang es mir irgendwann nicht mehr den Druck von Weiß zu neutralisieren.

Diese Partie tat sehr weh und als Strafe für den Zug 15...Sxa4 war mein Gegner in Runde neun mal wieder ein Türke, dieses Mal 11 Jahre alt. Und zu dieser Partie fehlen mir ehrlich gesagt irgendwie die Worte. Trotzdem habe ich versucht, die Partie zu erklären:

Das war wohl das Zeichen für mich, dass ich in den letzten Wochen vielleicht doch ein Turnier zu viel gespielt habe und die Akkus einfach leer sind. Jetzt habe ich knapp drei Wochen Pause, bis in Eindhoven ein IM-Turnier für mich auf dem Plan steht. Die gute Nachricht für mich: Dort spielen keine unterbewerteten türkischen Kinder mit! :D

Vorher schulde ich euch selbstverständlich noch den 12h-Stream. Dieser wird am Samstag, den 29.07. stattfinden. Ich habe einige Gäste eingeladen: Elisabeth Pähtz, Sonja Bluhm aka Bluhmanda und Schachstratege. Der Stream startet um 14 Uhr und es stehen unter anderem Hand&Brain und ein Turnier für euch auf dem Plan. Aber schaut am besten einfach vorbei und lasst euch überraschen! Bis dahin Josefine

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